StZ: Geisterhäuser trotz akuter Wohnungsnot
Leerstehendes Haus in Plieningen – Ein direkter Anwohner lebt seit zehn, ein anderer seit 14 Jahren dort. Beide eint: Seit sie dort wohnen, steht das Haus leer. Unerträglich!
Leerstehendes Haus in Plieningen – Ein direkter Anwohner lebt seit zehn, ein anderer seit 14 Jahren dort. Beide eint: Seit sie dort wohnen, steht das Haus leer. Unerträglich!
In der AG haben sich betroffene junge Menschen, das Netzwerk Careleaver in Stuttgart, Mitarbeitende von Stuttgarter Jugendhilfeträgern, Mitarbeitende der Zivilgesellschaft sowie die Ombudschaft Kinder-und Jugendhilfe Baden-Württemberg zusammengeschlossen, um sich gemeinsam für das Recht junger Erwachsener auf eigenen, bezahlbaren Wohnraum in Stuttgart stark zu machen. („Careleaver sind Menschen, die in einer Jugendhilfeeinrichtung oder Pflegefamilie groß geworden sind und kurz vor dem Auszug stehen oder diesen schon hinter sich gebracht haben“ – Flyer Careleaver der Abt. Erziehungshilfen beim Jugendamt Stgt., März 17).
Das Immobilienunternehmen Vonovia plant in Stuttgart die Modernisierung hunderter günstiger Wohnungen. Die Mieten steigen danach kräftig. Es hagelt Vorwürfe und Proteste – doch es gibt keine rechtliche Handhabe.
Stuttgart – Ursula Kienzle blickt fassungslos auf das Schreiben in ihrer Hand. Ihr Vermieter, das Bochumer Wohnungsunternehmen Vonovia, teilt ihr mit, dass das Hochhaus in der Friedhofstraße, in dem sie lebt, modernisiert wird. „Unsere Kunden sollen sich bei Vonovia wohlfühlen“, heißt es in dem Brief, den die 80 Mieter bekommen haben. Von Juni bis Februar soll einiges gemacht werden – von der neuen Sprechanlage bis zum Austausch der Aufzugskabinen.
Doch die helle Begeisterung ruft das bei den Bewohnern des Gebäudes am Rande des Nordbahnhofsviertels nicht hervor. „Das ist eine Luxussanierung, die die Kosten hochtreibt“, sagt Ursula Kienzle. Denn Teile der Baumaßnahmen werden auf die Mieter umgelegt.
Die Rentnerin soll künftig statt 417 Euro Kaltmiete für ihre 53 Quadratmeter große Wohnung 653,40 Euro bezahlen. Eine Steigerung um satte 63 Prozent. „Das kann ich mir nicht leisten. Ich wüsste dann nicht wohin, denn eine andere günstige Wohnung zu finden, ist aussichtslos.“ So geht es hier vielen.
Für die Rentnerin, die in den 17 Jahren an dieser Stelle diverse Eigentümerwechsel erlebt hat, ist die Vonovia „die schlimmste Heuschrecke von allen“. Und sie ärgert sich über die Politik: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Solchen Konzernen müsste man das Handwerk legen. Doch die Regierung schaut nur zu.“ Und auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn kommt nicht gut weg: „Bei dem passiert in Sachen Wohnungsmarkt gar nichts.“
Vonovia plant nicht nur eine Modernisierung in der Friedhofstraße. Von ihren in Stuttgart bewirtschafteten 4606 Wohnungen sollen allein in diesem Jahr 279 modernisiert werden – auch in der Augsburger Straße samt Aufstockung der Gebäude oder in der Nagoldstraße. Das Problem dabei: Aus günstigen Wohnungen, die in Stuttgart Mangelware sind, werden teure.
Derzeit formiert sich bundesweit Protest. Am Dienstag, dem Vorabend der Hauptversammlung der Vonovia, sind an mehreren Orten Kundgebungen angekündigt. In Stuttgart rufen eine Mieterinitiative und der Mieterverein um 18 Uhr zur Protestversammlung vor dem Hochhaus Friedhofstraße 11 auf. Vorwürfe gibt es viele. So soll sich das Unternehmen auch nicht an die Mietpreisbremse halten und Wohnungen überteuert anbieten. „Bei der Vonovia geht es um Maximierung der Rendite auf Kosten der Mieter“, sagt der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. „Für die Menschen, meist einfache Leute und Rentner, ist das eine Katastrophe. Die will man raushaben“.
Rechtlich dagegen vorzugehen ist schwierig. Bei Modernisierungen legt der Mieterverein häufig Sozialwiderspruch gegen die Mietsteigerungen ein. Ein schwieriger Weg. Selbst bei Überschreiten der Mietpreisbremse gibt es aber kaum Handhabe: Der Mieter, der eben erst eingezogen ist, müsste sofort gegen seinen Vermieter vorgehen.
Der Mieterverein ist nicht klageberechtigt. Es handelt sich zudem um keine Ordnungswidrigkeit, es ist kein Bußgeld vorgesehen. Das bestätigt man auch beim Amt für Liegenschaften und Wohnen: Der Mieter selbst müsse handeln. Das tut aber kaum einer. Der Vonovia sei bisher kein einziger Verstoß nachzuweisen gewesen.
Bei der Vonovia handelt es sich mit weitem Abstand um das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland. Der Bestand liegt aktuell bei rund 350 000 Einheiten. Sie ist im Südwesten, spätestens seit dem Kauf der ehemaligen LBBW-Wohnungen vom ersten Käufer Patrizia, stark vertreten.
„Ein Wohnungsunternehmen dieser Größe gab es früher in Deutschland nicht“, berichtet Daniel Zimmermann. Er ist beim Deutschen Mieterbund als Koordinator für große Wohnungsunternehmen für die Belange der Mieter von Vonovia und Co. zuständig. Insgesamt sei der Sektor professioneller und börsennotierter Vermieter in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen, so Zimmermann. „Das Kartellamt hat bei diesen großen Fusionen bislang nie Bedenken gehabt“, sagt er.
Doch für ungefährlich hält der Fachmann diese Entwicklung trotzdem keineswegs. Zwar reiche der Marktanteil von Vonovia nicht aus, um insgesamt eine beherrschende Stellung einzunehmen, doch das Unternehmen kaufe besonders häufig Bestände an günstigen Wohnungen geballt auf. „In einzelnen Quartieren oder Stadtteilen sind die Auswirkungen dann natürlich sehr deutlich zu spüren“, sagt der Mann vom Mieterbund.
Dabei seien Überschreitungen der Mietpreisbremse nicht das Hauptphänomen. „Das eigentliche Problem ist, dass Vonovia den großen Modernisierer gibt“, erklärt Zimmermann. „Die Mietpreisbremse etwa gilt nicht, wenn eine Wohnung energetisch saniert wird“, so der Experte. Und: „Elf Prozent der Kosten lassen sich später jedes Jahr auf die Mieter abwälzen.“
An den nun kräftig erhöhten Mieten der sanierten Objekte verdiene das Unternehmen gutes Geld, sagt Zimmermann. Den Bewohnern bleibe in aller Regel nur die Option, sich auf einem überhitzen Markt wie Stuttgart vergeblich nach einer günstigeren Bleibe umzusehen oder die Mietererhöhung zähneknirschend hinzunehmen.
Dabei ist der Wachstumskurs der Vonovia längst noch nicht beendet. Nach zahlreichen Übernahmen anderer Wohnungsunternehmen breitet sich der Konzern inzwischen über Deutschland hinaus aus. Nach zwei Übernahmen in Österreich und einer Partnerschaft in Frankreich hat der Konzern nun ein Übernahmeangebot im Wert von rund 900 Millionen Euro an ein schwedisches Wohnungsunternehmen gemacht.
„Uns ist bewusst, dass jede Modernisierung mit Belastungen für unsere Kunden verbunden ist“, sagt eine Vonovia-Sprecherin. Man arbeite „hart daran, sowohl die Bautätigkeit als auch die mit einer Modernisierung verbundene Mietsteigerung so kundenorientiert wie möglich zu gestalten und zu erläutern, was wir tun“. Die Vorwürfe weist das Unternehmen zurück: Man halte sich an die gesetzlichen Vorgaben, auch bei der Mietpreisbremse.
„Nach Modernisierungen bleiben wir im Durchschnitt deutlich unter der Umlage von elf Prozent, die der Gesetzgeber derzeit maximal vorzieht. Vonovia führt keine Luxusmodernisierungen durch“, sagt die Sprecherin. Außerdem gebe es ja eine qualitative Verbesserung.
Und: „Wir möchten, dass unsere Mieter bei uns wohnen bleiben können.“ Persönliche und auch wirtschaftliche Härten im Zusammenhang mit der Modernisierung nehme man „sehr ernst“ und versuche, „im Einzelfall Lösungen dafür zu finden“.
Ob das Ursula Kienzle und vielen anderen Mietern in Stuttgart hilft, bleibt offen.Neben den höheren Kosten denkt sie derzeit vor allem an eines: „Mir graust es vor dem ganzen Lärm und Dreck.“
Der folgende Artikel ist aus einem Beitrag der Stuttgarter Zeitung: Der Mieterverein Stuttgart hat in scharfer Form eine Anzeige in der neuesten Ausgabe des amtlichen Wohnungsmarktberichtes der Stadt Stuttgart kritisiert. Dort bemühe sich die Firma Schwäbische Bauwerk GmbH um den „Eigenankauf von Mehrfamilienhäusern ab drei Wohneinheiten“ – doch der Firma wirft der Mieterverein vor, dass sie nach Käufen mit „wilden Geschäftsmethoden“ und drastischen Mieterhöhungen Mieter „rücksichtlos hinausmodernisiert“. Im Haus Forststraße 168 im Stuttgarter Westen seien Mieterhöhungen von bis zu 137 Prozent (von 667 Euro auf 1155 Euro) angedroht worden. In der Reinsburgstraße 65, ebenfalls im Westen, solle ein Rentnerehepaar nach der Modernisierung statt 431 Euro zukünftig 1139 Euro Kaltmiete bezahlen, erklärte der Mieterverein. Dies sei eine Steigerung um 165 Prozent.
Der Vereinsvorsitzende Rolf Gaßmann kreidete der Stadtverwaltung an, sie helfe dem „stadtbekannten Geschäftsführer“ der Firma und „Spekulanten“, weitere Mehrfamilienhäuser zu erwerben und Mieter zu vertreiben. Diese Beihilfe sei eine „ nicht zu entschuldigende Instinktlosigkeit“.
Am Dienstag reagierte die Stadtverwaltung auf Anfrage unserer Zeitung. Der Wohnungsmarktbericht erscheine im zweijährigen Turnus. Die kritisierte Anzeige sei schon im vorigen Bericht im Jahr 2017 erschienen. Sie sei auch Bestandteil des Mietspiegels, den das Statistische Amt der Stadt in Kooperation mit dem Mieterverein und dem Verein Haus und Grund erstelle. Die Kritik vernehme man aber erstmals. Besonders erstaunlich sei, dass der Mieterverein jetzt öffentlich daran Anstoß nehme. „Auch der scharfe Ton ist neu“, erklärte Sven Matis, Sprecher der Stadt. Solche Anwürfe seien der Verwaltung aus der vertrauensvollen Zusammenarbeit unbekannt. Man werde beim nächsten Bericht aber prüfen, inwiefern die Stadt „auf Anzeigen Dritter grundsätzlich verzichten“ könne, um „die Objektivität noch stärker herauszustellen“.
Von dem Geschäftsführer der Schwäbische Bauwerk, Marc-René Ruisinger heißt es dazu: „Diese Anschuldigungen des Vorsitzenden des Mietervereins werten wir als Rufmord und werden wir durch unseren Rechtsanwalt prüfen lassen.“ Zum jetzigen Zeitpunkt wolle man daher keine ausführliche Stellungnahme abgeben. Ferner handle die Schwäbische Bauwerk „weder rücksichtlos noch werden Mieter ausgepresst noch verfolgt sie wilde Geschäftsmethoden“. Ruisinger betonte noch, bis heute seien in den genannten Objekten keine Modernisierung ausgeführt, entsprechend auch keine derartigen Modernisierungsumlagen abverlangt worden.
Das Thema könnte auch noch die Stadträte beschäftigen. Der Grund: An diesem Freitag wird der Wohnungsmarktbericht dem Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vorgestellt.
In der Wilhelm-Raabe-Str. 4 in Heslach sind seit dem 28. April zwei Wohnungen besetzt. Die Wohnungen die vorher leerstanden, sind nun belebt und bieten Raum für zwei Familien die dort eingezogen sind. Ein Fernsehteam vom ZDF hat das Besetzerkollektiv der Wohnungen begleitet und interviewt. Den Beitrag gibt es hier in der Mediathek vom ZDF. Mehr Infos zu den Wohnungsbesetzungen finden sich hier: www.leerstand-beleben.tk
Die Aktion der Hausbesetzung in Stuttgart-Heslach war vielleicht nur Symbolpolitik. Und doch ist dadurch ein neues Problembewusstsein geschaffen worden, sagt Redakteurin Christine Bilger.
Es ist vorbei, die Wohnungen sind wieder leer. Die Familien sind wieder dort, wo sie vorher nicht gut gelebt haben – in zu engen Verhältnissen, aus denen sie raus wollten. Wem hat der Monat der Besetzung nun am Ende etwas gebracht? Ist dadurch irgend ein Problem gelöst, von denen es etliche auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt gibt?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Direkt gebracht hat es den Familien nichts, die dort einzogen. Sie haben sich dadurch keinen legalen Mietvertrag erstreiten können. Zudem haben sie sich – sehenden Auges – Strafanzeigen eingehandelt. So legitim ihr Anliegen war, illegal war ihre Methode dennoch. Zugleich haben sie sich auch noch anhören müssen, lediglich Marionetten eines politischen Strategiespiels zu sein.
Und doch hat sich durch die Aktion etwas bewegt. Die Besetzer haben viel Unterstützung aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen erfahren und somit viele Menschen für das Thema sensibilisiert. Die Diskussion über die Wohnungspolitik in der Stadt nimmt nun neue Fahrt auf. Das Thema Leerstand muss auf die Agenda. Das war zwar schon klar, wird aber nun drängender.
Die Aktion war vielleicht nur Symbolpolitik. Und doch ist dadurch ein neues Problembewusstsein geschaffen worden. Das muss man einräumen, gleich wie man zu den Methoden der Besetzer aus der Wilhelm-Raabe-Straße steht.
Nach der Modernisierung wird die Miete mehr als verdoppelt. Betroffen ist eine Krankenschwester im Stuttgarter Westen, die sich den Profitinteressen eines Bauunternehmens schutzlos ausgeliefert sieht. Zum ersten Mal in ihrem Leben organisiert sie eine Demonstration.
Nein, es ist kein Tippfehler: Um 136 Prozent soll die Miete steigen. Von 488,30 Euro im Monat auf 1155,24 Euro, so steht es in einem Schreiben der Schwäbischen BauWerk GmbH, das Tanja Klauke im vergangenen November in ihrem Briefkasten fand. “Ich war völlig entsetzt”, sagt sie. Denn 14 Jahre lang konnte die Krankenschwester im Stuttgarter Westen vergleichsweise günstig leben. “Ich traue mich kaum, das zu erzählen”, betont die 44-Jährige. Aber als sie eingezogen ist, habe sie für ihre 66 Quadratmeter nur 360 Euro gezahlt. “Das ist ja heutzutage, gerade in Stuttgart, fast schon undenkbar günstig.”