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Stuttgarter Nachrichten: Die gepflegte Hausbesetzung
150 Leute marschieren am Samstag nach einer Protestveranstaltung in das Haus in der Heslacher Wilhelm-Raabe-Straße, zwei Familien beschließen spontan zu bleiben. Jetzt sind sie Hausbesetzer. Von den Nachbarn erfahren sie großen Zuspruch.
Stuttgart – Wasserwerfer, Polizisten, vernagelte Fenster, verrammelte Türen: Das war in den 80ern die übliche Kulisse, wenn die Tagesschau wieder von Krawallen in der Hamburger Hafenstraße berichtete. Man sprach vom „Häuserkampf“ und sah Straßenschlachten. Hausbesetzung heute geht ganz anders.
Die Haustür der Wilhelm-Raabe-Straße 4 steht offen. Die namenlosen Klingeltasten müssen die der Besetzer sein. Nachbarn, Unterstützer und Neugierige, werden freundlich in den Hinterhof gelotst. Hier stehen Kaffee, Limonade und Biertischgarnituren bereit. „Es kommen ja den ganzen Tag über Leute“, sagt Fatima Raad, die mit Mann und Kind schon seit Jahren mit einem Mietvertrag im Haus wohnt. Über ihre neuen Mitbewohner, die am Samstag nach einer Protestveranstaltung des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen eingezogen sind, freut sich die junge Frau.
Gut 150 Leute seien in das viergeschossige Haus marschiert, berichtet Paul von Pokrzywnicki vom Aktionsbündnis. Die Wohnungen hätten offen gestanden. Rosevita Thomas und ihr Sohn sowie eine dreiköpfige Familie beschlossen spontan zu bleiben. Ihre neue Wohnung im obersten Stock wurde unverzüglich von Unterstützern möbliert. „Die Leute kamen mit Tisch, Bett, Stühlen, Pflanzen und Geschirr“, Nachbarn brachten Bettwäsche und Essen. „All diese fremden Leute waren so nett zu uns! Ich hatte das Gefühl von einem ganz starken Zusammenhalt.“ Seit November hatte die Mutter für sich und ihren Neunjährigen nach einer bezahlbaren Wohnung gesucht. Aus der alten hatten sie nach 22 Jahren wegen Eigenbedarfs ausziehen müssen. Eine Verwandte in Stuttgart nahm sie in ihrer winzigen Wohnung.
Die Besetzung als ein politisches Signal
Adriana und ihr Mann, die jetzt mit der kleinen Tochter die Erdgeschosswohnung besetzen, waren bei ihrer Suche ebenfalls gescheitert. „Das ist kein individuelles Problem von uns“, sagt Adriana. Sie verstehe die Besetzung als ein notwendiges, politisches Signal. Die friedliche Weise, wie sie von statten ging, hält Adriana „für angemessen“. Dennoch ist sich die junge Mutter der Radikalität ihres Schrittes bewusst. „Aber man muss doch was tun!“
Mit den aggressiven „Instandbesetzern“ Anfang der 80er haben diese Leute nichts gemein. In der Hochphase waren in West-Berlin zeitweilig mehr als 200 Häuser besetzt. Gewaltbereite Autonome mischten die Szene auf, der Protest geriet zum urbanen Guerillakrieg. Und obschon auf Demos Pflastersteine flogen, Scheiben barsten und Autos brannten, zeigten damals viele Deutsche Verständnis für die Besetzer – nach Meinungsumfragen jener Jahre rund 40 Prozent der Bevölkerung. Die Gründe: Auch die Gegenseite zeigte sich oft unnötig aggressiv. Vor allem aber war es der von Spekulanten angeheizte Wohnungsmarkt, der den Krawallbesetzern Sympathien eintrug. Massenweise ließ man Häuser verkommen, um sie abzureißen und profitableren Wohnraum zu bauen.
Wir wollen Brücken schlagen und uns nicht verbarrikadieren
Die Stuttgarter Hausbesetzer von heute indessen umarmen in einer Charmeoffensive das komplette Viertel. So wurde die Nachbarschaft zum Fest geladen, zeitig per Handzettel informiert, umsichtig von abendlichen Lärm verschont. „Wir wollen Brücken schlagen und uns nicht verbarrikadieren“, sagt Paul von Pokrzywnicki vom Aktionsbündnis. „Individuell kann man das Wohnungsproblem nicht lösen. Dafür braucht es viele Menschen, die sich zusammentun.“ Die ältere Dame vis à vis wünschte den Neuankömmlingen viel Glück, andere Nachbarn hängten solidarische Grüße aus dem Fenster oder packten mit an. Angelika Zielonka von nebenan hofft, dass die Besetzer bleiben und, dass ihr „mutiges Zeichen“ von den Verantwortlichen für die Wohnungspolitik verstanden wird. „Immerhin riskieren die den Rauswurf und eine Strafanzeige“. In ihrem Bekanntenkreis wohnten die meisten beengt und suchten eine bezahlbare Wohnung.
In den vergangenen Jahren waren Hausbesetzungen quasi aus der Mode. Jetzt sind sie wieder da, und die Besetzer erhalten Zuspruch von vielen Seiten. Grüne und SPD im Gemeinderat lassen Verständnis durchblicken. Die Fraktion der SÖS/Linke-plus spricht sogar von einem „mutigen Akt der Selbsthilfe und der Notwehr“. Dem Aktionsbündnis Recht auf Wohnen schwappt auf Facebook viel Zuspruch entgegen. Auch heute hegen brave Bürger Sympathien für den anarchischen Akt einer Hausbesetzung. Die Gründe sind die gleichen wie in der alten Bundesrepublik: wieder ist der Wohnungsmarkt eklatant unter Druck, wenngleich die Ursachen divergieren: die Zinsentwicklung, die Jahrzehnte lange Vernachlässigung des Wohnungsbaus, der gestiegene Bedarf und – unverändert – die Spekulanten, die jetzt nach anderen Regeln spielen. Doch die gepflegte Hausbesetzung von heute ist eine Grenzüberschreitung unter Lächeln.
StN: Auszug verweigert – Haus beschädigt
In Stuttgart zeichnet sich ein neuer Trend ab: Wo wenig Miete bezahlt wird, sollen alte Häuser teuren Neubauten weichen. Häufig helfen Vermieter mit Geld nach, um Mieter loszuwerden. Doch manchmal treten plötzlich Schäden auf – der Mieterbund glaubt an mutwillige Zerstörung.
Uzbee Mohideen hat seine Hände tief in die Taschen seiner beigefarbenen Jacke gesteckt. Er steht vor dem Haus, in dem er seit 16 Jahren wohnt. Doch jetzt wird das Heim, das er sich in seiner kleinen Wohnung im Stuttgarter Stadtbezirk Weilimdorf aufgebaut hat, plötzlich bedroht. Mohideen, seine Frau und seine beiden Kinder sollen ausziehen. Nicht freiwillig. Die Familie soll dazu regelrecht gezwungen werden.
Der Eigentümer des Mehrfamilienhauses hat Räumungsklage gegen Uzbee Mohideen und die anderen Mieter im Haus eingereicht. Die Begründung: Man sei „an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert“. So steht es in dem Gerichtspapier, das unserer Redaktion vorliegt. Kurz gesagt bedeutet das: Dem Eigentümer reicht die Miete nicht, die er derzeit aus den vier vermieteten Wohnungen bekommt.
Die Bewohner aber wollen nicht gehen, ihre Wohnungen nicht einfach so hergeben. In der Folge sind urplötzlich Beschädigungen am Haus aufgetreten: Der Kellerzugang etwa wurde mit Bauschutt und Erde zugeschüttet, die Haustür verschwand, die Regenrinne wurde zerstört – Wasser dringt ungehindert ins Haus. „Man will die Menschen zum Auszug zwingen, indem man ihnen das Leben unmöglich macht“, glaubt der Landesvorsitzende des Mieterbundes, Rolf Gaßmann. „Der Vermieter will die Bewohner zermürben.“ Laut Mieterbund handelt es sich nicht um einen Einzelfall.
Das Haus in Weilimdorf hat den Eigentümer gewechselt. „Damit hat unser Ärger angefangen“, erzählt Mohideen. Aus der Räumungsklage geht hervor, dass die Familie Mohideen, dem Willen der neuen Eigentümer nach, zum 30. Juni 2018 hätte auszuziehen sollen. Die Bewohner aber haben sich gegen die Kündigung gewehrt – der Fall wird im Dezember vor Gericht entschieden. Auch die anderen drei Mietparteien im Haus werden ihren Vermieter wohl das nächste Mal vor Gericht wiedersehen.
„Ich kann verstehen, dass man hier neu bauen will“, sagt Mohideen nüchtern. Was dem Familienvater aber zu schaffen macht, sind die Schäden am Haus, die den Aussagen der Mieter zufolge erst aufgetreten sind, als die Bewohner sich weigerten, ihre Wohnungen zu verlassen. Ein Beispiel: Ein Foto aus dem Juli dieses Jahres zeigt eine intakte, breite Hofeinfahrt. Inzwischen aber ist der Beton aufgebrochen, rostige Rohre ragen aus dem Erdreich hervor, der Weg zwischen Haus und Bauzaun ist schmal. Für einen Kinderwagen fast zu schmal. „Am Haus wurden Dinge einfach kaputt gemacht“, sagt Mohideen verärgert.
Eingang zum Keller mit Bauschutt blockiert
Heute stellt sich das Bild vor Ort so dar: Am Hauseingang befindet sich eine Tür ohne Schloss. Mit der alten, abschließbaren Tür wurde das Kellerfenster von außen blockiert. Kein Licht dringt mehr ins Untergeschoss. Der äußere Zugang zum Keller wurde mit Bauschutt und Erde zugeschüttet. Im Treppenhaus gibt es kein Licht mehr, die Klingelanlage wurde abgebaut. Die Regenrinne oberhalb des früheren Kellerzugangs wurde durchtrennt. Wasser kann nun ungehindert in den Keller laufen. Der Mieterverein will den Vermieter mit juristischen Mitteln dazu bringen, die dringlichsten Schäden zu beseitigen – auch hier wird die Entscheidung wohl erst vor Gericht fallen.
Trotz mehrfacher und ausführlicher Anfragen unserer Zeitung wollte sich der Eigentümer der Immobilie, die Firma Hermann Wohnbau mit Sitz in Kornwestheim, nicht zu den Vorgängen äußern. Fragen, wer die Schäden am Haus verursacht haben könnte oder ob die Probleme zeitnah behoben werden, bleiben unbeantwortet.
Dem Internetauftritt des Vermieters zufolge ist die Unternehmensgruppe neben der Immobilienentwicklung noch in weiteren Geschäftsfeldern aktiv – etwa im Management von Profiboxern. Und: auf der Internetseite des Vermieters wird unter der Adresse in Weilimdorf bereits ein Neubauquartier mit Namen „neue Grüne Mitte“ beworben. Das Objekt sei „in Planung“, heißt es da. Zudem hat die Firma nach Informationen unserer Zeitung den ersten Bauantrag für einen Neubau samt Tiefgarage anstelle des alten Mehrfamilienhauses beim Baurechtsamt der Landeshauptstadt bereits im Februar 2018 gestellt – lange bevor Familie Mohideen und die anderen Bewohner des Hauses hätten ausziehen sollen.
Nach Aussage von Mieterbund-Chef Gaßmann ist der Fall ein extremes Beispiel für eine aktuelle Entwicklung am Wohnungsmarkt. „Ältere Häuser in guter Lage werden abgerissen, um dort ertragreiche, neue Wohnanlagen erstellen zu können“, sagt er. Das Problem von Mietern, die ihre angestammte Umgebung nicht verlassen wollen oder können, wird laut Rolf Gaßmann in vielen Fällen mit Geld gelöst. „Beim Bau und dem anschließenden Verkauf oder der Vermietung neuer Wohnungen springt in der Regel genug raus, damit der Bauträger den bisherigen Mietern eine großzügige Abfindung zahlen kann“, sagt er. Aber: „Rabiates Vorgehen wie in dem Fall in Weilimdorf beobachten wir leider immer öfter.“
Mieterbund: Zu geringe Mieten taugen nur selten als Kündigungsgrund
Mit Blick auf die Räumungsklagen gegen die Mieter aus Weilimdorf gibt sich Gaßmann zuversichtlich. „Es gibt ganz wenige Fälle, bei denen mangelnde Wirtschaftlichkeit eine Kündigung rechtfertigt“, sagt er. Das sei besonders dann der Fall, wenn der Kauf der Immobilie noch nicht lange zurückliege, so Gaßmann. „Niemand wird gezwungen, ein vermietetes Wohnhaus zu kaufen. Zudem kann man sich vorab über die Höhe der Mieten und damit über die Wirtschaftlichkeit informieren“, sagt er. Ähnlich argumentiert der Anwalt der Familie Mohideen. „Der Kündigungsgrund entsteht überhaupt erst mit der Veräußerung und erst beim Erwerber“, heißt es in der offiziellen Antwort auf die Räumungsklage.
Uzbee Mohideen hat sich mit seiner Familie trotzdem auf Wohnungssuche gemacht. „Ich habe mehr als 300 Bewerbungen geschrieben“, berichtet der Familienvater. Auf die meisten Anschreiben habe er jedoch keine Antwort erhalten, erzählt er. Und: „Selbst mit einem guten Gehalt ist es kaum möglich, eine Wohnung zu finden.“ Die einzigen Angebote, bei denen Mohideen in die engere Auswahl gekommen ist, hätten das Budget der vierköpfigen Familie komplett gesprengt. Und auch die anderen Mieter des Hauses sind nach eigener Aussage verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Bleibe.
In der Räumungsklage des neuen Eigentümers heißt es dazu: „Auch ist die lapidare Begründung, der Beklagte (hier ist die Familie Mohideen gemeint) habe trotz intensiver Wohnungssuche keine Ersatzwohnung finden können, für einen Sozialwiderspruch nicht ausreichend.“ Sollte der Vermieter mit dieser Rechtsauffassung bei der Gerichtsverhandlung im Dezember erfolgreich sein, würden die Mohideens und die anderen Bewohner des Hauses auf der Straße stehen. In einem solchen Fall könnte die Familie bei der Stadt um eine Notunterkunft bitten. „Das will ich vermeiden“, sagt Mohideen. „Ich arbeite seit 25 Jahren bei einem großen Autohersteller in der Region. Ich will nicht, dass die Stadt mir helfen muss.“
StZ: Vonovia löst Stuttgart 21 als Feindbild ab
Das größte deutsche Wohnungsunternehmen Vonovia hat das Zeug, mit seiner Politik, über Modernisierungen das Mietpreisniveau in ihren Immobilien zu heben, Stuttgart 21 als Feindbild Nummer 1 für Teile der Stadtgesellschaft abzulösen. Sowohl bei einer Info-Veranstaltung am Freitag im Gewerkschaftshaus mit 100 erbosten Mietern als auch beim „Mietenpolitischen Ratschlag“ der Linken von Bund und Stadt am Samstag im Rathaus wurde das Potenzial deutlich, das bei einer optimierten Informationspolitik und besserer Vernetzung von Mietern, deren Initiativen, von Mietervereinen und Parteien gehoben werden könnte.
Viele Teilnehmer, die sich mit Schauergeschichten über ihren Vermieter zu überbieten versuchten, hatten bis zur Veranstaltung nicht einmal geahnt, wie groß der Kreis von Leidensgenossen ist; dass es fachliche Hilfe und tausend Möglichkeiten gibt, sich erfolgreich zu wehren. Was sie allerdings an dem Abend verstanden haben: dass sich Widerstand organisieren lässt.
Kritik an Kuhn: „Roter Teppich“ für Miethaie
Kritisiert wurde aber nicht nur Vonovia mit seinen mehr als 400 000 Wohnungen, sondern auch die Politik, denn sie nutze ihre Möglichkeiten nicht, die Vermieter in ihre Schranken zu weisen und ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann hält eine maximale Mietpreiserhöhung in Höhe der Inflationsrate für ausreichend, Ursel Beck von der Stuttgarter Mieterinitiative fordert einen Mietpreisstopp, und der Linken-Bundesparteichef Bernd Riexinger sagte, langfristig müsste die Mieten sogar wieder sinken. OB Fritz Kuhn (Grüne), so heißt es in einem Flugblatt, breite den Immobilienhaien dagegen den „roten Teppich“ aus. Über Vonovia habe er sich jedenfalls noch nicht kritisch geäußert.
Knut Unger, Mietervereinsmitarbeiter aus Nordrhein-Westfalen, nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund. Er spricht von „systematischer Täuschung“ der Mieter. So sei jede Betriebskostenabrechnung falsch, und das Jahr für Jahr. Er rührt mittlerweile nicht mehr nur bundes-, sondern europaweit die Werbetrommel, um den Widerstand besser zu vernetzen.
Auch der Protest gegen Stuttgart 21 sei so entstanden, hieß es bei diesen Veranstaltungen. Bernd Riexinger träumt schon „von 100 000 Menschen vor dem Kanzleramt“, die für drastische Maßnahmen gegen die Wohnungsnot protestieren. Die anstehenden Kommunalwahlen bieten aus Sicht der Mieterinitiativen die Chance, den Druck auf die Parteien zu erhöhen.
Gemeinderat für Milieuschutzsatzungen
Weil sich allein im Nordbahnhofgebiet 1300 von rund 2300 Wohnungen der Vonovia befinden, hat die Fraktionsgemeinschaft von SÖS/Linke-plus vor der Sommerpause vorsorglich beantragt, Milieuschutzsatzungen für das Gebiet Friedhof- und Mönchstraße zu beschließen. In einem Hochhaus außerhalb des Satzungsgebiets hatten Mieter die Modernisierungen nicht verhindern können. Nun müssen sie auf einer Großbaustelle leben und hinterher mehr Miete bezahlen. Für viele bedeutet so eine Maßnahme den K. O., da die Kosten auf die Miete aufgeschlagen werden dürfen. Nach etwa elf Jahren ist die für den Vermieter steuerlich absetzbare Maßnahme zur Werterhöhung vom Mieter finanziert. Er muss den Erhöhungsbetrag aber immer weiter bezahlen. So will es der Gesetzgeber.
Die Stadt wird alle möglichen Quartiere mit umfassendem Eigentum der Vonovia auf Indikatoren untersuchen, die eine Veränderung erwarten lassen. Für CDU-Stadtrat Philipp Hill ist die Milieuschutzsatzung ein „stumpfes Schwert“, weil sich nur Luxussanierungen verhindern ließen. Tatsächlich muss eine Modernisierung genehmigt werden. Sie gilt als sinnvoll und anmessen, sofern nur eine „durchschnittliche Wohnung zeitgemäß ausgestattet wird oder die Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung erfüllt werden sollen. In Berlin verärgern die Bezirke aktuell die Vermieter mit eigenen Kriterien und definieren selbst, welche Ausstattung zeitgemäß erscheint. Ob die Beamten damit vor Gericht durchkommen, ist unklar.
Keine Angst vor Drohbriefen
Knut Unger, der Stachel im Fleisch von Vonovia, hat bei seinem Vortrag über die Möglichkeiten, dem Vermieter die Stirn zu bieten und ihn trotz Drohbriefen und anrückenden Handwerkern mit legalen Mitteln alt aussehen zu lassen, in staunende Gesichter geblickt. „Das habe ich alles nicht gewusst“, sagte eine Frau aus Ostfildern, der seit Monaten das Wasser durch die Decke tropft. Sie kündigte an, sofort alle Nachbarn zu informieren und zu mobilisieren.
Mieterin kämpft um Dachboden-Zugang
Die Auseinandersetzungen rund um die Wilhelm-Raabe-Straße gehen weiter. Hier ein Beitrag von Regio TV Stuttgart zu der Gerichtsverhandlung wegen MieterInnenmobbing durch die Eigentümerfamilie Passy in der Wilhelm-Raabe-Straße.
Der Eigentümerin und ihrer Anwaltskanzlei M\S\L Dr. Silcher Rechtsanwälte scheinen jedes Mittel Recht um die zwei letzten Mietparteien im Gebäude herauszuekeln: Private Securitys die im Gebäude patroulierten, Räumungsklagen, Auskunfts- und Kontaktverweigerung und und und. Doch eines steht trotz allem fest – der Widerstand gegen die Verdrängung geht weiter!
https://www.facebook.com/RechtaufWohnen/videos/340940630055348/
Quelle: https://www.regio-tv.de/video_video,-mieterin-k%C3%A4mpft-um-dachboden-zugang-_vidid,151336.html
Dokumentiert: Artikel von Jörg Nauke in der Stuttgarter Zeitung – Schnäppchen an Fölls letztem „Black Friday“
Auszug aus dem Artikel in der Stuttgarter Zeitung:
Der ehemalige Finanzbürgermeister hat sich in seiner letzten Wirtschaftsausschussitzung eine besondere Erlaubnis abgeholt: Er kann städtische Flächen für rund 16 Millionen Euro verkaufen. Dazu gehört das Gesundheitszentrum im Osten.
Der „Black Friday“ verspricht traditionell Rabattaktionen und Schnäppchenjagden. Vor zehn Tagen hatte sich dem scheidenden Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) in seiner letzten Wirtschaftssausschusssitzung vor dem Wechsel ins Kultusministerium noch einmal die Möglichkeit geboten, Grundstücke auf den Markt zu werfen. Er holte sich die Erlaubnis, Flächen für rund 16 Millionen Euro aus städtischer Hand zu geben. Darunter befand sich etwa ein Flurstück in der Rubensstraße in Degerloch (1,18 Millionen Euro), das im Rahmen einer Umlegung für den Bau eines Büro- und Geschäftsgebäudes an die Firma Minol Stuttgart W. Lehmann GmbH & Co. KG zum Verkehrswert veräußert wurde.
Stellungsnahme und Erklärung zur Hausbesetzung: Jahrelanger Leerstand beendet
Im folgenden dokumentieren wir die Stellungsnahme und Erklärung der BesetzerInnen (Quelle):
Wir haben soeben das Haus in der Forststraße 140 besetzt. Nach einer Kundgebung gegen Modernisierungsvertreibung in der Forststraße 168 haben wir festgestellt, dass wenige Meter weiter ein Haus bereits seit Jahren leersteht. Die Türen standen offen. Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Zustand weiter andauern zu lassen. Wir werden erst einmal bleiben um auf den unsinnigen Leerstand bei gleichzeitiger Verdrängung in Stuttgart aufmerksam zu machen. Wir fordern, dass die Wohnungen in dem mehrstöckigen Haus mit über 20 leerstehenden Zimmern unverzüglich in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden. Zwei Nachmieterinnen haben sich gefunden: Tanja und Rosevita würden hier sehr gerne einziehen.
Derzeit findet im besetzten Haus ein Fest mit mehr etwa 100 Menschen statt. Kommt vorbei, beteiligt euch und besichtigt die Wohnungen!
Leerstand seit zig Jahren
Das Haus in der Forststraße 140 steht bereits seit etlichen Jahren leer, dies haben uns mehrere Nachbarn bestätigt. Wie lange genau, wissen wir nicht. Der Zustand der Wohnungen lässt vermuten, dass die schönen Altbauwohnungen möglicherweise bereits seit über 10 Jahren leerstehen. Die Wohnungen sind größtenteils renovierungsbedürftig, so sind teilweise Böden herausgerissen, ein neuer Anstrich wäre ebenfalls nötig. Alles in allem aber kein unmachbarer Aufwand. Vielleicht könnten potentielle neue BewohnerInnen das sogar selbst erledigen.
Fakt ist: Häuser verfallen langsam aber sicher, wenn sie nicht bewohnt werden. Es wäre eine Schande, wenn auch dieses Haus dieses Schicksal ereilen würde.
Wer Eigentümer ist, konnten wir noch nicht herausfinden. Es ist auch egal. Dieses Haus wird nun wieder belebt. Alles andere wäre Wahnsinn!
Wohnraum für Betroffene von Verdrängung
Zwei Frauen würden in Wohnungen der Forststraße 140 gerne einziehen: Die eine ist Tanja Klauke. Sie wohnt bisher ein paar Meter weiter in der Forststraße 168 und wird wohl bald ausziehen müssen. Der Grund: Sie wohnt bisher zu einer leistbaren Miete – für Stuttgarter Verhältnisse sogar recht günstig: 488,30 Euro für 66 Quadratmeter. Ihre Vermieterin, die Stuttgarter Immobilienfirma „Schwäbische BauWerk GmbH“ hat ihr im Winter eine „Modernisierungsankündigung“ geschickt. Ihre Wohnung soll sich über lange Zeit in eine Baustelle verwandeln, dann soll sie 1155,24 Euro Miete zahlen. Das kann sich die Die 44-jährige Krankenpflegerin im Katharinenhospital aber nicht leisten. Dabei ist die Wohnung noch gut in Schuss, ein paar Kleinigkeiten könnte man schon richten, notwendig ist eine Generalsanierung aber bei Weitem nicht. Tanja würde zu gleichen Konditionen wie bisher in eine der bisher leerstehenden Wohnungen ziehen.
Das Vorhaben der „Schwäbische BauWerk GmbH“ wird sich leider kaum verhindern lassen. Darum ist Tanja schon jetzt auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Für ein Krankenpflegerinnenlohn ist das in Stuttgart aber keineswegs einfach. Zuletzt Schlagzeilen machte der Fall des Klinikums-Personalwohnheims am Prießnitzweg. Auf dem Gelände soll neu gebaut werden, danach werden viele Mieten kräftig erhöht. Das ist also auch keine Option. Gerade in Zeiten von Überlastung, niedrigen Löhnen und Personalmangel in der Pflege zeigt ihr Fall, welche dramatischen Folgen die Neoliberalisierung von Gesundheit und Wohnungsbau haben.
Die andere Frau, die in eine Wohnung einziehen würde, ist Rosevita Thomas. Die alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Sohnes wurde bereits vor über einem Jahr aus ihrer Wohnung im Westen geworfen, angeblich aus Eigenbedarf. Heute ist in der Wohnung ein Architektenbüro. Sie besetzte im Frühjahr letzten Jahres eine von zwei Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart Heslach. Nach einem Monat wurde sie zwangsgeräumt, die Wohnungen dort stehen immer noch leer und Rosevita muss sich seitdem mit ihrem Sohn ein kleines Zimmer bei ihrer Schwester teilen. Fündig ist sie auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt seitdem nicht geworden. Eine Wohnung in der Forststraße 140 wäre für die beiden optimal, sie hätten wieder eine eigene Bleibe in ihrer früheren Nachbarschaft.
Ein riesiges Problem
Die Geschichten von Tanja und Rosevita sind keine Einzelfälle. Wie ihnen geht es Tausenden Menschen allein im Großraum Stuttgart. Ihre Fälle erzählen so vor allem die Geschichte eines riesigen sozialen Problems dem PolitikerInnen und Immobilienmarkt nichts entgegenzusetzen haben. Die Antworten, die sie geben, bauen auf Zuschüsse für Immobilienfirmen und wirkungslose Reformen. Die Mietpreisbremse etwa wirkt nicht, das Baukindergeld erreicht die wirklich Bedürftigen nicht und spült nur noch mehr Geld in die Taschen von Bauunternehmen. Einfach nur mehr zu bauen ist zu kurz gedacht, wer kann sich schon Neubaumieten leisten? Der Bau von Sozialwohnungen zielt ebenfalls auf Bezuschussung von gewinnorientierten Unternehmen. Die Mieten für solche Wohnungen sind zwar etwas günstiger, fallen aber in der Regel aber 15 bis 20 Jahren wieder aus der Mietpreisbindung.
Die Geschichten von Rosevita und Tanja zeigen auf, wie Frauen im Besonderen von dem Problem betroffen sind. Tanja arbeitet im Pflegesektor, in dem die Löhne wesentlich niedriger sind als in vorwiegend von Männern ausgeübten Berufen. Auch Alleinerziehende, wie Rosevita, haben es erfahrungsgemäß schwerer bei der Wohnungssuche. Gerade angesichts des gestrigen Frauenkampftags, an dem auch in Stuttgart Hunderte auf die Straße gegangen sind, ist dieser Aspekt noch einmal besonders hervorzuheben.
Was wir wollen
Erst einmal haben wir keine großen Erwartungen an Politik und Investoren. Sie haben über Jahre des Wirtschaftens für Profitinteressen statt für Menschen die Wohnungskrise erst verursacht. Heute sind sie nicht fähig – noch willens – dieses Problem zu lösen. Darum appellieren wir an alle Menschen, selbst aktiv zu werden. So wird es am 6. April eine große Mietendemo in Stuttgart gebenum zu zeigen, wie viele Menschen wütend auf die Situation auf dem Wohnungsmarkt sind. Dort wird es den BESETZEN-Block als Teil der Demo geben mit welchen noch einmal explizit die Ursache der Wohnungskrise (und vieler anderen Krisen), der Kapitalismus, thematisiert werden soll. Beteiligt euch daran!
Es gilt: Wenn nicht viele Menschen selbst aktiv werden und sich langfristig zusammenschließen, wird sich gar nichts ändern. Dennoch fordern wir bezogen auf das besetzte Haus eine, eigentlich ganz selbstverständliche Sache: Die Wohnungen müssen in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden. Eine Renovierung ist sicher notwendig, eine Luxussanierung darf es aber nicht geben. Und natürlich sollen Tanja und Rosevita hier einziehen.
Besonders sehen wir die Stadt hier in der Verantwortung sich sofort und mit allen Mitteln dafür einzusetzen. Es sei an dieser Stelle auch an die seit 2016 geltende Zweckentfremdungssatzung erinnert, die jedoch bis dato in keiner Weise wirksam durchgesetzt wurde. Im konkreten Fall der Forststraße 140 wäre daher die Enteignung ein gerechtfertigtes, wirksames und signalstarkes Mittel. Einige der aktuell 4700 auf der städtischen Warteliste für eine Sozialwohnung stehenden wohnungssuchenden Haushalte würden es sicher danken!
Website und Infoportal: www.leerstand-beleben.tk