StZ: Geisterhäuser trotz akuter Wohnungsnot
Leerstehendes Haus in Plieningen – Ein direkter Anwohner lebt seit zehn, ein anderer seit 14 Jahren dort. Beide eint: Seit sie dort wohnen, steht das Haus leer. Unerträglich!
Leerstehendes Haus in Plieningen – Ein direkter Anwohner lebt seit zehn, ein anderer seit 14 Jahren dort. Beide eint: Seit sie dort wohnen, steht das Haus leer. Unerträglich!
“Wehret den Anfängen”, zitiert die dpa den baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU), der am Montagmittag routiniert in die Phrasenkiste griff. Wieder einmal darf und wird es in Baden-Württemberg keine “rechtsfreien Räume” geben, und “da haben wir heute in Stuttgart ein klares Zeichen gesetzt.” Tatsächlich handelten Staat und Sicherheitsbehörden mit Signalwirkung: Der Schutz von Privateigentum und Profit hat in der Güterabwägung einen höheren Stellenwert als soziale Verpflichtungen und menschliche Würde.
Quelle und vollständigen Artikel: kontext:wochenzeitung
Hier die Mitteilung und Presseerklärung vom Mietentscheid Bündnis vom 30. Januar 2020:
Seit 84 Tagen warten wir auf eine Kostenauskunft zu unserer Anfrage. Seit zwei Wochen erhalten wir zudem keine Reaktion auf unsere Nachfrage, wann mit einer Beantwortung gerechnet werden kann. Das ist für uns nichts anderes als eine Auskunftsverweigerung und Verschleppung unserer Anfrage!
…
Hier unsere Pressemitteilung von Heute:
Nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung ist die Gemeinde verpflichtet, „zur Erstellung des Kostendeckungsvorschlags Auskünfte zur Sach- und Rechtslage“ zu geben. Seit dem 7. November vergangenen Jahres liegen dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Forderungen vor mit der Bitte, dem Bündnis bis zum 21. November 2019 Informationen über die zu erwartenden Kosten zu geben. Drei Wochen später, am 27. November 2019 erhielt das Bündnis eine Eingangsbestätigung von der Stadtdirektorin mit dem Hinweis, dass die Anfrage an die zuständigen Ämter weitergeleitet wurde, eine Beantwortung bis zum 21.11.2019 aufgrund der Haushaltsberatungen jedoch nicht möglich war.
„Wir haben Verständnis für eine zeitweilige Verzögerung der Beantwortung aufgrund intensiver Haushaltsberatungen und Feiertage“, sagt Britta Mösinger, Bündnissprecherin vom Mietentscheid Stuttgart. „Das rechtfertigt jedoch keine Wartezeit von bisher 84 Tagen, wodurch wir als BürgerInneninitiative im weiteren Verfahren blockiert sind“. Das Bündnis ist auf die Kostenauskunft der Stadt angewiesen, um einen fundierten Kostendeckungsvorschlag auszuarbeiten.
Am 13. Januar 2020 hakten die Stellvertreter des Zusammenschlusses bei der Stadtdirektorin und Oberbürgermeister Kuhn erneut nach und baten um eine Mitteilung, wann das Bündnis eine Antwort auf die Anfrage erhalten werde, bzw. wann damit gerechnet werden könne. Seitdem ist nichts geschehen und dem Bündnis liegt weiterhin keine Auskunft vor.
Susanne Bödecker, Mitinitiatorin vom Mietentscheid kommentiert das Vorgehen der Stadtverwaltung folgend: „Ein Ernstnehmen von Bürgerinitiativen geht anders“. Wir warten seit zwei Wochen auf eine Reaktion, wann mit einer Antwort gerechnet werden kann. Das ist ein Unding.“
Die Stadtverwaltung muss ihrer Verpflichtung nachkommen. „Wir fordern von OB Kuhn und der Stadtverwaltung eine zügige Beantwortung unserer Anfrage und eine Kommunikation auf Augenhöhe“, sagt Britta Mösinger.
Bundesweit werden gerade Initiativen von BürgerInnen für bezahlbares Wohnen hingehalten und blockiert. In Berlin wartet das Bündnis „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ seit 207 Tagen auf eine Entscheidung von Senator Geisel, ob das Volksbegehren zulässig ist. Das Bündnis Mietentscheid Frankfurt hat inzwischen sogar eine Klage gegen die Stadt Frankfurt eingereicht, weil die Prüfungen in Senat und Magistrat seit einem Jahr ergebnislos andauern.
Während das Bündnis in Stuttgart auf die Kostenauskunft wartet, ist die Planung der Unterschriftensammlung im Frühjahr nun einer der anstehenden Aufgaben. Der Unterstützerkreis vom Mietentscheid Stuttgart ist derweil auf 27 Organisationen, Vereine und Parteien angewachsen.
Auch die Corona-Pandemie hat am Zustand von Mietenwahnsinn nichts geändert. Die Mieten in deutschen Städten sind von Ende 2019 bis Anfang 2020 deutlich gestiegen, zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Immobilienportals immowelt. Lohnausfällen und Kurzarbeit zum Trotz zeigt die Kurve der Mietpreise der Analyse zufolge weiterhin nach oben. In 57 von 81 deutschen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern stiegen die Angebotspreise von Ende 2019 bis Anfang 2020 um bis zu zwölf Prozent an. Den größten Zuwachs verzeichneten dabei vor allem kleinere Großstädte – auch in Baden-Württemberg. Mit zwölf Prozent Erhöhung landete etwa Reutlingen auf der Spitzenposition.
Es braucht weiterhin einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik. Wohnraum muss der Spekulation entzogen werden. Große Immobilienkonzerne und unbegründet leerstehnder Wohnraum gehören entschädigungslos enteignet und unter demokratische Verwaltung der MieterInnen gestellt.
Hier gehts zum Artikel in der Stuttgarter Zeitung
Nach der Räumung zweier besetzter Wohnungen in Stuttgart-Heslach haben am Montagabend mehrere hundert Menschen gegen den Leerstand von Wohnungen in der Landeshauptstadt demonstriert. Das Aktionsbündnis “Recht auf Wohnen” spricht von mehr als 500 Menschen, die sich vor dem Haus in der Wilhelm-Raabe-Straße im Stuttgarter Stadtteil Heslach versammelten. Die Demonstranten hätten auch zwei weitere, seit Jahren leerstehende Häuser im Böhmisreuteweg und in der Hahnstraße mit Zetteln und Kreidespray markiert. Die Aktion sollte auf den Leerstand “tausender Wohnungen aus spekulativen Zwecken sowie die Wohnungsnot aufmerksam machen”, heißt es in der Mitteilung.
Folgend dokumentieren wir einen Artikel aus der kontext:wochenzeitung:
Martin Kikiny hält seine Hände schulterbreit auseinander. Er erinnert sich an sein letztes Zuhause und versucht, die Größenverhältnisse zu beschreiben. “Das war die Küche”, sagt er, als er auf den Raum zwischen seinen Händen blickt. Etwa 60 Zentimeter misst der. “Ein Euro”, fügt Martin Kikiny noch hinzu. Das Bad: genauso groß. Das Schlafzimmer: ebenso. Und beide auch: ein Euro.
Was Martin Kikiny beschreibt, sind nicht Zimmer, sondern Plastikboxen. Er hatte mehrere davon in einem Kramladen für jeweils einen Euro erstanden und darin sein Hab und Gut sortiert. In einer Kiste waren Töpfe, Messer, Lebensmittel untergebracht. Das war die Küche. In einer anderen wohnten Zahnbürste, Rasierapparat, Toilettenpapier. Das war das Bad. In einer dritten bewahrte er seine Kleider auf – Hosen, Westen, Kopfbedeckungen. Das war das Schlafzimmer. Diese Kisten standen über viele Jahre im Kofferraum eines Autos ordentlich nebeneinander. Mit dem Griff in eine Kiste betrat Martin Kikiny ein Zimmer. Denn das Auto war für lange Zeit sein Zuhause.
Martin Kikiny stammt aus einem abgelegenen Dorf in der Slowakei. Er hat in seiner Heimat die Schule besucht und eine Ausbildung zum Koch absolviert. Aber weil sich dort einfach keine Arbeit finden ließ, zog es ihn als jungen Mann mit Anfang 20 nach Deutschland. Leicht hat er es auch hier nicht. Während der ersten Jahre schlug er sich als Bettler und Straßenkünstler durch. Als Pantomime verwandelte er sich auf dem Schlossplatz in verschiedene Gestalten. Mittlerweile hat Martin Kikiny eine Festanstellung. In der Arnulf-Klett-Passage verkauft er die Straßenzeitung “Trott-war”. Außerdem besitzt er einen Wohnberechtigungsschein, der den Vermietern zusichert, dass das Jobcenter seine Miete bezahlt.
Im Mai wurde das besetzte Haus in Heslach von der Polizei geräumt. Doch bis heute werden die fraglichen Wohnungen offenbar nicht regulär vermietet. Nun fordert die Stadt von den Eigentümern ein Bußgeld wegen unbegründetem Leerstand.
Stuttgart – Es geht um ein sperriges Wort – das sogenannte Zweckentfremdungsverbot. Demnach darf Wohnraum in Stuttgart nicht länger als sechs Monate unbegründet leer stehen. Ist das doch der Fall, droht dem Eigentümer der fraglichen Immobilie ein Bußgeld. Aktuell hat die Stadtverwaltung ein neues Verfahren eingeleitet. Besonders brisant ist dieser spezielle Fall, weil es sich ausgerechnet um die Wohnungen handelt, die im Frühjahr dieses Jahres besetzt waren. Anliegen der Hausbesetzer war es, auf den Leerstand von Wohnraum aufmerksam zu machen.
Die Stadtverwaltung bestätigt die Informationen unserer Zeitung. Stadtsprecher Sven Matis erklärt: „Das Baurechtsamt der Landeshauptstadt Stuttgart hat gegen die Eigentümer von Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 ein Bußgeldverfahren eingeleitet.“ Grundlage sei die Satzung zum Zweckentfremdungsverbot.
Man habe den Eigentümern nun die Gelegenheit eingeräumt, sich bis zum 10. Januar zu den „entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern“, so Matis weiter. Die Eigentümer müssten beispielsweise nachvollziehbar erklären, „wann und wie die Wohnungen wieder bezugsfertig gemacht werden“.
Im Video: Wohnungsnot in Stuttgart – was sind die Ursachen? Und wie könnten Lösungen aussehen? Mit unserem Faktenvideo können Sie mitreden.
Die Frist, bis zu der die Wohnungen neu vermietet werden mussten, war Anfang Dezember abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt standen die Einheiten nach dem Wissen der Stadt nachweislich mindestens sechs Monate leer, heißt es aus der Verwaltung. Auch ein fix erteilter Auftrag an Handwerker für die Sanierung der Wohnungen, hätte dem Gesetz nach eine aufschiebende Wirkung.
Doch wie hoch wird das Bußgeld ausfallen? Im Gesetz ist eine Obergrenze von 50 000 Euro definiert. Und: Aus der Verwaltung heißt es, man sehe illegalen Wohnungsleerstand keinesfalls als Kavaliersdelikt an. Man wolle zudem eine Lenkungswirkung erzielen. Experten rechnen damit, dass die Verwaltung das Bußgeld im unteren vierstelligen Bereich festsetzen werde.
Das Zweckentfremdungsverbot wurde vom Gemeinderat am 3. Dezember 2015 beschlossen. Nach Angaben von Stadtsprecher Sven Matis hat die Verwaltung seit Einführung des Verbots in Stuttgart in zwei Fällen einen Bußgeldbescheid erlassen. „Bemerkenswert ist, dass die meisten Verfahren nicht zu einem Bußgeldbescheid führen. Die Adressaten zeigen sich meist kooperativ. Das ist durchaus als Erfolg zu werten“, erklärt Matis. Zum Vergleich: Die Stadt München hat allein im vergangenen Jahr Bußgelder in Höhe von 851 110 Euro eingenommen.
Der Anwalt der Heslacher Immobilieneigentümer war trotz mehrfacher Anfrage unserer Zeitung nicht zu erreichen. Als die Eigentümer Anfang November erstmals mit einem drohenden Bußgeld konfrontiert waren, hatte Erik Silcher, Anwalt der Hausbesitzer, gesagt: „Ein Bußgeld scheint mir übertrieben.“ Und: Vor einer Sanierung des Hauses müsse der Dachboden geräumt werden. Diesen hätten die Mieter illegal in Beschlag genommen, so der Jurist weiter.
Die Haubesetzung war in der Stadt kontrovers diskutiert worden. Recherchen unserer Zeitung zufolge waren Teile der linksextremen Szene in die Besetzung involviert. Die Hausbesetzer waren zudem von der Fraktion SÖS/Linke-plus im Gemeinderat ausdrücklich unterstützt worden. Am anderen Ende des politischen Spektrums wurde die Räumung des besetzten Hauses durch die Polizei hingegen begrüßt. „Da haben wir heute in Stuttgart ein klares Zeichen gesetzt“, sagte der baden-württembergische CDU-Innenminister Thomas Strobl am Tag der Räumung. „Solche rechtsfreien Räume wird es in Baden-Württemberg nicht geben – anders als in anderen Bundesländern.“