Meine Damen und Herren,
zu den rein rechtlichen Detailfragen der Anzeige der Familie Passy gegen mich und meine Kollegen Rockenbauch und Pantisano haben unsere Anwälte schon Stellung genommen.
Ich sehe aber, daß die Anzeigen gegen uns nur ein kleiner Teil der Anzeigen und Prozesse ist, mit der die Eigentümerfamilie seit fast 2 Jahren
- die eigenen Mieter*innen überzieht, die noch in der Wilhelm Raabestr. 4 wohnen,
- und die 2 kleinen Familien von Adriana Uda und Rosevita Thomas schon überzogen hat, die beide dringend Wohnraum gebraucht hatten und deshalb in die leerstehenden Wohnungen eingezogen sind.
In Wohnungen die die Familie Passy leer stehen ließ – obwohl beim Amt für Wohnungswesen über 4000 Menschen als dringend wohnungssuchend registriert sind, 2500 als Notfälle, obwohl hunderte Alleinerziehende und Familien mit Kindern oft jahrelang in Sozialpensionen und Notunterkünften untergebracht werden müssen und kaum Chancen haben dieser Notlage zu entkommen, weil es die bezahlbaren Wohnungen immer weniger gibt.
Eine hilflose Stadtverwaltung muss noch immer zuschauen, wie solche Spekulanten gar nicht vermieten müssen, sie brauchen nur so zu tun, als würden sie ein Haus in Stand setzen lassen. Seit 3 Jahren stehen die für einen Monat „belebten“ Wohnungen leer…
Sie können einfach nur zuschauen – zuschauen, wie durch Entmietung die steigenden Immobilienpreise ihr Vermögen Monat für Monat immer weiterwachsen lassen, während andere vergeblich nach einer bezahlbaren Bleibe suchen.
Sie bringen uns vor Gericht wegen angeblichem Hausfriedensbruch, während Sie den Hausfrieden der Hausgemeinschaft WRS4 täglich gebrochen haben, durch verbarrikadierte Zugänge, durch Wachdienste im Haus, und rechtswidrig angebrachte Videoüberwachungskameras.
Artikel 14 Grundgesetz lautet: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ Für die Eigentümer der Wilhelm-Raabe-Str 4 ist das offenbar nur eine unverbindliche Empfehlung.
Es ist schlicht obszön, wie Sie nicht nur uns, sondern gleichzeitig die letzte Mieterfamilie im Haus vor Gericht zerren, einer Familie mit Kindern das Dach überm Kopf nehmen wollen – mit der Behauptung, dass diese Mieter-Familie die Belebung des leerstehenden Wohnraums in der WRS4 richtig gefunden habe. Deutlicher kann man nicht zeigen, worum es Ihnen geht: was sie erreichen wollen, ist: dass Solidarität vor Gericht steht!
In allen Fällen, die die Eigentümerfamilie Passy inzwischen vor Gericht gezogen hat und immer noch zerrt – bei den Besetzern, bei den Mieter*innenfamilien und auch bei uns heute – geht es um nichts anderes als diesen Versuch, Solidarität zu kriminalisieren.
Und in unserem Fall hat dieser Versuch schon auch groteske Züge. In der Wilhelm-Raabe-Str4 haben sich in diesen 4 Wochen, als der von der Familie Passy zu verantwortende Leerstand belebt wurde, Journalist*innen und Fernsehteams die Klinke regelrecht in die Hand gegeben.
Zur selben Zeit, als wir mit Frau Uda vorlaufender Kamera ein Gespräch geführt haben.
Die öffentliche Kritik an Leerstand und der Tatenlosigkeit der Politik angesichts der Verdrängung von Menschen mit kleinen Einkommen aus ihren Vierteln war in Stuttgart stark, und das öffentliche Interesse, ja: die Sympathie mit der Besetzung war groß.
So etwas schmerzt Spekulanten.
Im Schriftsatz des Anwalts der Familie Passy wird nun ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie ausschließlich Strafanzeige wg unseres Interviews im live-Format Rockpolitik erstatten – sonst gegen niemand.
Dass unsere Berichterstattung aus der Wilhelm-Raabestr. Hausfriedensbruch sein soll, jede andre aber legal und legitim, offenbart die Haltung der Familie Passy:
Ihr Grund uns anzuzeigen ist unübersehbar ein politischer: unser Interview bringt Solidarität mit Adriana, Rosevita, Jörg und ihren Kindern zum Ausdruck. Es geht Ihnen darum, Solidarität zu kriminalisieren.
Es geht Ihnen, ja, offensichtlich auch um Rache dafür, dass sie in der Stuttgarter Öffentlichkeit als das gezeigt wurden, was sie sind: Spekulanten.
Für uns ist Wohnen ein Menschenrecht, verbrieft durch viele internationale Konventionen. Und wir unterstützen Menschen, die sich, wie in diesem Fall von spekulativem Leerstand – dieses Recht im Zweifelsfall auch nehmen – solange die Stadt dieses Menschenrecht nicht gewährleistet und die Spekulation mit Wohnraum durch Leerstand nicht unterbindet.
Möglich, dass die Familie Passy meint, mit ihrer Anzeige Solidarität tatsächlich kriminalisieren zu können. Aber seien Sie sicher: es wäre ein Pyrrhus-Sieg.
Denn die Solidarität wird angesichts der fortgesetzten Misere bei Mieten und Wohnraum nicht aufhören.
Sie ist ein urmenschliches Bedürfnis, anders als die Vermehrung von Privat-Vermögen auf Kosten von Mitmenschen und Gesellschaft.
Die Stuttgarter Presse hatte die Belebung des Leerstands in der Wilhelm-Raabe-Str4 seinerzeit einen „Weckruf aus Heslach“ für die Politik genannt.
Er hat auch in der Politik die Koordinaten ein klein bisschen zu Gunsten der Mieter*innen verschoben.
Und wir werden weiter solidarisch an der Seite von allen stehen, für die das Menschenrecht auf Wohnen einen höheren Rang hat als das Recht, mit Boden- und Wohnungsspekulation aus Geld noch mehr Geld zu machen.
4.700 Menschen stehen in Stuttgart auf der Vormerkdatei für Sozialwohnungen, davon 3.600 Dringlichkeitsfälle. 3.800 Studierende stehen auf Wartelisten für Studentenzimmer. Fast 8.000 Geflüchtete leben noch in Systemunterkünften. Gleichzeitig stehen in Stuttgart zwischen 3.000 und 11.000 Wohnungen leer.
Diese Situation zwingt Stuttgarter*innen in die Wohnungslosigkeit oder in die Obdachlosigkeit, selbst Familien mit Kindern sind betroffen. So erging es auch Rosevita, als alleinerziehende Mutter und Adriana mit ihrem kleinen Kind. Die Not zwang sie, in die seit Jahren leerstehenden Wohnungen in der Wilhelm-Raabe- Straße 4 zu ziehen.
In kenne eine solche Situation selber nur zu gut. Als ich ein Kind war, kündigte mir und meiner Familie der Vermieter unserer Wohnung wegen Eigenbedarfs. Meine Eltern, meine drei Geschwister und ich standen vor dem Nichts. Zwei Jahre lang putzten wir Klinken und bettelten um eine Wohnung. Ich war noch ein Kind von 10 Jahren, aber ich kann mich noch gut an die abfälligen Kommentare der vielen Vermieter erinnern. Niemand wollte eine italienische Familie mit vier Kindern und einem kleinen Einkommen als Mieter haben. Irgendwann lag die Androhung für die Zwangsräumung im Briefkasten.
Dieser Tag hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt. Meine Eltern waren dadurch gezwungen, einen völlig überzogenen Kredit für eine kleine Eigentumswohnung aufzunehmen. Bis heute, über 30 Jahre später und im alter von 80 Jahren bezahlen sie noch immer Zins- und Zinseszins ab. Die Wohnung aus der wir ziehen mussten stand dann immer noch über 5 Jahre nach unserem Auszug leer.
Auch Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ich mich sehr gut in die Situation von Rosevita und Adriana hineinversetzen und so war es für mich selbstverständlich, mich mit ihnen zu solidarisieren.
Es ist für mein politisches Handeln selbstverständlich, mit Menschen in das Gespräch zu suchen. Das gehört für mich zu einer Politik auf Augenhöhe. So wie es auch für mich dazu gehört mein Handeln öffentlich und transparent zu machen.
Nicht Menschen die zustände verbessern wollen gehören verurteilt, sondern diejenigen, die völlig unberechtigt Wohnungen leer stehen lassen. Bis heute stehen die beiden Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 leer. Aus zwei leerstehenden Wohnungen sind mittlerweile sogar vier leere Wohnungen geworden und auch die letzten Mieter*innen sollen nun gehen. Alles – vermutlich – um das gesamte Haus meistbietend zu verkaufen für den größtmöglichen Profit.
Wohnen ist laut Verfassung und der UN-Menschenrechtscharta zuallererst ein Menschenrecht und nicht eine Kapitalanlage für Investoren.
Viele Journalisten waren vor uns bereits in den Wohnungen. Sie führten Gespräche mit den Bewohner*innen, auch um die Öffentlichkeit über die Notsituation auf dem Wohnungsmarkt aufzuklären. Das war richtig und wichtig.
Ich habe das Gespräch mit den Bewohner*innen gesucht, um Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu demonstrieren und zum gesellschaftlichen Frieden beizutragen. Rosevita und Adriana waren in Not und ich wollte sie unterstützen.
Recht und Gesetz wirken nicht in einem sozialen Vakuum. Ich bitte heute das Gericht, in diesem Sinne zu entscheiden und Rechtsfrieden zu schaffen.”