Interview mit Andrej Holm: Von Wien lernen wie sich preiswertes Wohnen in Zukunft organisieren lässt
Steigende Mieten sind kein Naturgesetz – auch in einer wachsenden Stadt wie Berlin nicht. Der Sozialwissenschaftler Andrej Holm, 48, erklärt, was in der Mietenpolitik möglich ist.
Herr Holm, Berlin steuert darauf zu, eine Stadt mit vier Millionen Einwohnern zu werden. Was muss sich tun, damit alle eine passende Wohnung bekommen? Reicht es, nur zu bauen?
Nein, bauen allein reicht nicht. Natürlich brauchen wir mehr Wohnungen, aber vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen. Es gibt im Moment genügend hochpreisige Mietwohnungen und teure Eigentumswohnungen, aber an kleinen und leistbaren Wohnungen mangelt es.
Wie definieren Sie leistbare Wohnungen?
Der Begriff der Leistbarkeit besagt, dass Miete und Einkommen in einem vernünftigen Verhältnis stehen sollen. Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens für die gesamten Wohnkosten ausgegeben werden sollen. Das praktizieren wir in Berlin schon in ganz kleinen Segmenten. Zum Beispiel bei den Mietzuschüssen im alten sozialen Wohnungsbau. Die 30-Prozent-Regel leitet sich daraus ab, dass Haushalten mit Einkommen, die knapp über den Schwellenwerten für Transfereinkommen liegen, genug Geld zum Leben bleibt. Und dass die Miete nicht die geringen Einkommen, etwa von Mindestlohnverdienern, auffrisst, sodass diese Sozialhilfe beantragen müssen.
Wie viele Wohnungen zu günstigen Mieten benötigt Berlin?
Unsere Analyse mit Daten des Mikrozensus von 2014 hat ergeben, dass in Berlin jeder fünfte Haushalt mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete ausgeben muss. Das sind fast 400 000 Haushalte, die mehr zahlen, als sie ausgeben sollten. Die meisten benötigen Wohnungen, die ohne Betriebskosten nicht mehr als vier oder fünf Euro je Quadratmeter kosten sollten. Warum solche Wohnungen gebraucht werden, wird relativ schnell deutlich, wenn man sich ein Lehrlingsgehalt anschaut oder einen Mindestlohn, mit dem ein Haushalt nur 900 oder 1000 Euro verdient. Nach der 30-Prozent-Regel darf die Miete inklusive Betriebskosten 270 oder 300 Euro nicht übersteigen. Das sind Mieten, die es nur zu Quadratmeter-Preisen von vier oder fünf Euro kalt gibt. Da sehen wir, dass selbst der neue soziale Wohnungsbau mit Einstiegsmieten von 6,50 Euro je Quadratmeter diese Zielgruppe im Moment verfehlt. Also ausgerechnet diejenigen, die im Moment den dringendsten Bedarf haben.
Was muss sich ändern, um ausreichend preiswerte Wohnungen für Berlin zu bekommen?
Ein wichtiger Punkt wäre, einen radikalen Mietpreisschutz der noch preiswerten Wohnungen durchzusetzen. In Berlin gibt es noch etliche Wohnungen für 3,80 oder 4,20 Euro je Quadratmeter. Im Moment besteht die Gefahr, dass angesichts steigender Durchschnittsmieten viele Vermieter bei den sehr preiswerten Beständen die Miete auf Mietspiegel-Niveau erhöhen und sagen, das könne ja eigentlich keinem wehtun. Es tut aber weh. Es tut genau denjenigen weh, die diese geringen Mieten zahlen und ihr Leben darauf ausgerichtet haben. Ziel des Mieterschutzes muss also nicht nur sein, dass Mieter nicht verdrängt werden, sondern dass Mietpreise gehalten werden. Wohnungen, bei denen die Kredite bereits zurückgezahlt sind, müssen im Übrigen auch nicht teurer werden.
Welche Länder machen das besser?
Zum Beispiel Österreich. Dort gibt es soziale Wohnbau-Förderprogramme, die von gemeinnützigen Genossenschaften abgefragt werden. Die Förderprogramme haben eine ähnliche Struktur wie hier. Da werden Zuschüsse gezahlt und Darlehen. Dann werden die Darlehen zurückgezahlt, doch wenn die Förderphase nach 26 Jahren beendet ist, passiert das Gegenteil von dem, was hier passiert: Wenn in Berlin die Förderphase beendet ist, wird die Wohnung dem Markt übergeben und der Vermieter kann die Miete an den Mietspiegel anpassen – oder sogar darüber hinaus erhöhen.
Wie läuft das in Österreich?
Im System der Gemeinnützigkeit in Österreich sinkt die Miete in Wien nach Abschluss der Förderprogramme auf ein Niveau von 3,86 Euro pro Quadratmeter, ohne Betriebskosten. Das reicht für die notwendigen Ausgaben wie Verwaltungskosten oder eine erhöhte Instandhaltungspauschale. Die Miete ist auskömmlich, weil die Unternehmen gemeinnützig sind und einer Gewinnbeschränkung unterliegen. Angesichts der Angebotsmieten von elf oder zwölf Euro pro Quadratmeter, auf die wir in Berlin zusteuern, klingen solch günstige Mieten unrealistisch. Tatsächlich braucht man wohnungswirtschaftlich gesehen für eine abbezahlte Wohnung aber nicht mehr als vier Euro pro Quadratmeter. Das ist ein Denken, das selbst bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen und den Genossenschaften in Berlin noch nicht so stark ausgeprägt ist.
Was hindert uns in Deutschland daran, das Modell zu
importieren?
Es gibt in Österreich einen gravierenden Unterschied zur Situation hierzulande. Denn Österreich gehört zu den Ländern, die die Gemeinnützigkeit im Wohnbereich nicht abgeschafft haben. Gemeinnützigkeit im Wohnungsbereich bedeutet, dass auf der Unternehmensebene bestimmte Bewirtschaftungsmuster festgeschrieben sind.
Was ist in Deutschland anders?
In Berlin und in anderen Städten Deutschlands wird meist versucht, den sozialen Effekt der Wohnungsbewirtschaftung durch das Setzen von Rahmenbedingungen zu steigern. Hier sagt der Staat: Wir haben eine Mietpreisbremse, wir haben ein Milieuschutzgebiet mit bestimmten Auflagen, wir haben eine Zielvereinbarung mit den Wohnungsbaugesellschaften oder ein Förderprogramm, das für einen bestimmten Zeitraum irgendetwas bewirken soll. Wir versuchen also immer von außen an eine scheinbar unbändige Bewirtschaftungskraft heranzutreten und diese einzugrenzen. In Ländern mit einer Wohnungsgemeinnützigkeit, zu denen auch noch die Niederlande gehören, sind diese Ziele auf der Unternehmensebene festgelegt. Da gibt es gar keine Diskussionen darüber, dass man keine unlauteren Überschüsse erzielen soll, weil bei jeder Prüfung nachgewiesen werden muss, dass man nicht Geld eingenommen hat, das man für die Bewirtschaftung nicht braucht. Nötig wäre, die Gemeinnützigkeit im Wohnbereich wieder einzuführen. In der Kulturarbeit, der Jugendarbeit und im Sport gibt es sie ja heute noch. Es ist also nicht so, dass man in Deutschland das Prinzip der Gemeinnützigkeit nicht kennen würde.
Welche Widerstände gibt es gegen die Einführung im Wohnbereich?
Es fehlt vor allem eine Mehrheit im Bundestag. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen können nur auf der Bundesebene festgeschrieben werden. Auch die Wohnungswirtschaft sträubt sich gegen die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit. Es gibt zwar Diskussionen, doch scheitern diese im Moment auch an den großen Neubauanforderungen, die beispielsweise an die Wohnungsbaugesellschaften gestellt werden. Die Unternehmen argumentieren, sie könnten nicht überall Einnahmen einsparen, wenn sie gleichzeitig Überschüsse nutzen sollen, um Neubauprogramme zu stemmen. Da beißen sich zwei wohnungspolitische Anforderungen.
Wie sollte umgesteuert werden?
Man müsste bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin die Kriterien für den Erfolg ändern. Im Moment ist deutlich, dass das Kriterium für den Erfolg die Anzahl der neu gebauten Wohnungen ist. Man könnte dies um ein zweites Kriterium ergänzen, in dem ein möglichst hoher Anteil geförderter Wohnungen verlangt wird. In der Konsequenz müsste man schließlich sagen, der Erfolg einer sozial orientierten Wohnungspolitik misst sich daran, ob es in einem bestimmten Zeitraum gelingt, die Gesamtzahl der leistbaren Wohnungen zu erhöhen. Wenn man sich dieses Ziel steckt, ist es kontraproduktiv, Mietsteigerungen in bisher sehr günstigen Wohnungen durchzusetzen, um mit den Einnahmen teure Neubauten auf ein halbwegs leistbares Mietniveau herunterzusubventionieren. Das ist aber eine umstrittene Diskussion, weil sich die Herausforderungen nicht auf dieses eine Ziel fokussieren lassen.
Sondern?
Nur über Neubauzahlen zu reden, ist zu kurz gegriffen, aber genauso richtig ist: Nur über die Mietpreise zu reden ist auch zu kurz gegriffen, weil wir auch mehr Wohnungen brauchen. Die Diskussionen zum Stadtentwicklungsplan Wohnen haben da einen ganz guten Weg gefunden. Von den rund 200 000 Wohnungen, die bis 2030 gebaut werden, soll die Hälfte von gemeinwohlorientierten Bauträgern errichtet werden und nicht mehr als 6,50 Euro je Quadratmeter kosten.
Die Genossenschaften in Berlin haben Mieten, die unter denen der landeseigenen Unternehmen liegen. Was machen die Genossenschaften anders?
Genossenschaften sind den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. So müssen sie die Wohnungen bewirtschaften. Und es ist meist nicht im Interesse der Bewohnerschaft, höhere Mieten zu zahlen. Was die Genossenschaften von den landeseigenen Unternehmen unterscheidet, ist, dass sich die soziale Verantwortung auf die Mitglieder der Genossenschaft beschränkt. Genossenschaften sind nicht verpflichtet, etwa Wohnungen für Familien aus Syrien, die als anerkannte Flüchtlinge hier leben, zu vergeben. Aber interessant ist, dass die Mietentwicklungen bei den Genossenschaften relativ deutlich zeigen, dass sich eine auf Unternehmensebene erfolgte Festschreibung von Bewirtschaftungsgrenzen langfristig auswirkt. Insoweit sind sie ein Beispiel dafür, dass das Prinzip richtig ist, das hinter der Gemeinnützigkeit steht.
Was müsste in Berlin noch konkret getan werden, um vier Millionen Einwohner angemessen zu versorgen?
Ich glaube, dass relativ viel von dem, was nötig ist, seit zwei Jahren rot-rot-grüner Regierung versucht wird. Der Mietpreisschutz ist das A und O. Nötig ist außerdem, den Milieuschutz räumlich auszuweiten. Das ist in den letzten Jahren schon deutlich geschehen. Das kann man immer noch ein Stückchen weiter treiben. Das gilt auch für den Anteil von Sozialwohnungen bei privaten Bauprojekten. Schon jetzt stöhnen die Eigentümer, wenn sie einen Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen errichten sollen. Eigentlich müssten wir angesichts der Versorgungsverhältnisse viel mehr sozialen Wohnungsbau errichten. Das wird zum Teil in Städten wie Wien praktiziert, wenn wir jetzt noch mal nach Österreich schauen.
Und wie wird das dort gemacht?
In Wien werden bei der Ausweisung neuer Baugebiete die Grundstückspreise durch einen sogenannten Widmungspreis auf einem niedrigen Niveau festgeschrieben. Wenn dort Sozialwohnungen entstehen sollen, wird zugleich festgelegt, dass der Preis des Grundstücks nicht über ein bestimmtes Maß steigen kann, damit der Bau der Sozialwohnungen mit der Förderung noch zu finanzieren ist. In Berlin lassen sich mit den gängigen Förderprogrammen und der spekulativen Grundstückspreisentwicklung im Prinzip keine leistbaren Wohnungen mehr errichten. Die Förderprogramme orientieren sich in der Regel an der Refinanzierung der Baukosten. Nötig ist deswegen, auch hier den Anstieg der Bodenpreise zu begrenzen, um preiswerten Wohnungsbau möglich zu machen. Die Bodenfrage ist eine entscheidende Frage für das soziale Wohnen in der Stadt.